GoodNews KW20/2021

Gefühl der Stunde.

Seit über einem Jahr geht sie um. Nimmt an Gesprächen teil, wird heraufbeschworen und gerne wieder abgeschwächt: die Angst. Vor Corona, dem Existenzverlust, dem Homeoffice, vor Nähe, vor Ferne, vor der Inflation und dem Impfen. Angst ist das prominenteste Gefühl der letzten Monate; quasi das enttabuisierte Gefühl der Stunde. Berechtigt, wie ich meine. Trotzdem frage ich mich, ob die Angst derzeit ansteckender ist als das Virus? Und ich frage mich auch, wie es denen geht, die schon vor der Pandemie an Ängsten litten? Können diese Menschen von der neuen Offenheit in der Gesellschaft profitieren? Wohl kaum. Denn unsere aktuellen Ängste sehen wir als Nebenwirkung der Pandemie und nicht als potenzielle Schwäche der eigenen Resilienz. Aber was, wenn Unsicherheiten, Maskenpflicht und Social Distancing bleiben? Und wir damit rechnen müssen, auf einen gefährlichen Corona-Mutanten zu treffen? Bin ich nun zu ängstlich? Bestimmt. Denn es stehen die schönen Sommermonate und Treffen mit Freunden vor der Tür.
Voller Mut und Zuversicht sehen wir also dem Sommer entgegen. Freuen uns auf die heimischen Seen und die Jurawanderungen. Schwimmen, touren und essen in der Region. Geniessen schlicht und einfach die Heimat. Oh, nicht schon wieder? Sie haben genug von der Schweiz? Möchten endlich mal wieder eine Welle im Meer machen und sich in der Mittelmeersonne suhlen? Verständlich. Die Sehnsucht ist gross, das Fernweh riesig. Aber ich bin mir sicher, wir werden uns trotzdem noch lange an die stressfreien Wanderungen, die kurzen Anreisen und die Neuent­deckungen des eigenen Brauchtums erinnern. Werden das eine oder andere Mal sogar mit Wehmut erzählen, wie innovativ die Schweizer Gastronominnen und Gastronomen im letzten Sommer und wie exotisch die kulinarischen Erlebnisse aus der Region doch waren. Wir werden vielleicht geläutert nach dem grossen Rückreisestau aus dem Süden das Fazit ziehen, die nächste Auszeit erneut in der Nähe zu verbringen. Schön wird’s, wenn wir die Ziele wieder angstfrei wählen können.

Simone Leitner Fischer